PHAN­TOM JURATUNNEL

In den letz­ten Mo­na­ten und Wo­chen ist der West­ast-Dia­log in eine er­staun­li­che Rich­tung ab­ge­drif­tet. So macht etwa Mo­de­ra­tor Hans Wer­der kei­nen Hehl dar­aus, dass er dem Kan­ton und der Be­hör­den­de­le­ga­ti­on Ende Jahr die Va­ri­an­te «Ju­ra­tun­nel» als Lö­sungs­vor­schlag prä­sen­tie­ren möchte.

Dies tut er no­ta­be­ne in enger Über­ein­stim­mung und mit tat­kräf­ti­ger Mit­hil­fe sei­nes Spar­ring­part­ners Fritz Kobi, der neu­er­dings plötz­lich für un­ter­ir­di­sche Stadt­an­schlüs­se wirbt. Dies, ob­schon beide Her­ren – der eine als «Mo­de­ra­tor», der an­de­re als «Ver­kehrs­exper­te» – ge­mäss ihren Rol­len im Dia­log­pro­zess ei­gent­lich zu einer neu­tra­len Hal­tung ver­pflich­tet wären.

Noch vor einem Jahr hatte Kobi an­läss­lich einer Dia­log­grup­pen­sit­zung sogar noch davor ge­warnt, sich über­haupt auf eine Va­ri­an­ten­dis­kus­si­on ein­zu­las­sen. Daran, so Kobi da­mals, seien näm­lich alle bis­he­ri­gen Pla­nun­gen ge­schei­tert. Der Dia­log­pro­zess solle viel­mehr auf eine sorg­fäl­ti­ge Si­tua­ti­ons­ana­ly­se sowie die For­mu­lie­rung von Lö­sungs-Pa­ra­me­tern fo­kus­sie­ren. Damit könn­te man zu ge­ge­be­nem Zeit­punkt auf künf­ti­ge Ent­wick­lun­gen reagieren.

Ein ver­nünf­ti­ger An­satz, zumal das Fest­schrei­ben einer Au­to­bahn­va­ri­an­te in kras­sem Wi­der­spruch zur 4V-Stra­te­gie des Kan­tons Bern steht, deren Ziel­set­zun­gen lau­ten: Ver­kehr ver­mei­den, ver­la­gern, ver­träg­lich ge­stal­ten und vernetzen.

Knapp vier Mo­na­te vor dem Ende des Dia­log­pro­zes­ses wol­len der Mo­de­ra­tor und sein Ex­per­te nun aber par­tout eine Be­ton­lö­sung vor­le­gen – und ma­chen dafür mäch­tig Druck. Die bei­den Her­ren haben der Dia­log­grup­pe das Steu­er buch­stäb­lich aus der Hand ge­nom­men.  Es scheint, als wür­den sie sich gerne ein Denk­mal set­zen wol­len und als die­je­ni­gen in die Ge­schich­te ein­ge­hen, die den über 50jährigen Streit um die «Au­to­bahn­um­fah­rung von Biel» bei­gelegt haben.

So ver­su­chen sie nun mit aller Kraft, den längst ab­ge­hak­ten Ju­ra­tun­nel vom Dach­bo­den zu holen. Denn Ju­ra­tun­nels in allen Va­ria­tio­nen do­mi­nier­ten be­reits seit den 1970er und bis weit in die 1990er Jahre hin­ein die Au­to­bahn­dis­kus­si­on in und um Biel – das Re­sul­tat ken­nen wir. Er­staun­li­cher­wei­se fin­den sich aber auch noch im Jahr 2020 in der Kern­grup­pe An­hän­ger die­ses un­sin­ni­gen Re­launchs einer längst tot ge­glaub­ten Dis­kus­si­on. Der Ju­ra­tun­nel, wol­len sie uns weis­ma­chen, er­mög­li­che eine Kom­pro­miss­lö­sung, sei quasi das Ei des Kolumbus…

Mit dem Ju­ra­tun­nel, so heisst es, könne der Tun­nel durch den Berg, statt durch den heik­len Bie­ler Un­ter­grund ge­führt wer­den. Des­halb käme er güns­ti­ger zu ste­hen als das Aus­füh­rungs­pro­jekt – und hätte ge­rin­ge­re Aus­wir­kun­gen auf die Stadt, auch wäh­rend der Bauzeit.

Tat­sa­che ist: Das Ge­re­de vom Ju­ra­tun­nel ist reine Zeit- und Geldverschwendung.

Ers­tens, weil die­ser Tun­nel ab­so­lut un­nö­tig ist, wie die ak­tu­el­len Ver­kehrs­zah­len zeigen.

Zwei­tens, weil er zu­sätz­li­chen Ver­kehr durch den Berg ans fra­gi­le Bie­ler­see-Nord­ufer len­ken würde, wo Be­völ­ke­rung und Natur be­reits heute unter dem Tran­sit­ver­kehr leiden.

Drit­tens, weil der Bau des Ju­ra­tun­nels (Va­ri­an­te Kobi und Au­to­bahn­be­für­wor­ter) mit einem Au­to­bahn­voll­an­schluss (egal ob 2. oder 3. Klas­se) ver­bun­den ist. Wo? In der See­vor­stadt oder auf dem Strand­bo­den. Denn der Ju­ra­tun­nel braucht zwin­gend eine An­bin­dung an die Stadt, wie be­reits die Ju­ra­tun­nel-Stu­di­en aus den 1980er Jah­ren zeigten…

Zur Be­ru­hi­gung der Be­völ­ke­rung haben des­halb Kobi & Co die Idee un­ter­ir­di­scher Er­schlies­sungs­stras­sen, in­klu­si­ve einem un­ter­ir­di­schen Krei­sel aus dem Hut ge­zau­bert. Als In­spi­ra­ti­on dien­ten ak­tu­el­le Pla­nun­gen des ASTRA in St. Gal­len. Für Biel an­ge­rei­chert mit einem un­ter­ir­di­schen Park­haus, das einen Teil des her­ein­strö­men­den mo­to­ri­sier­ten Ver­kehrs auf­neh­men soll.

Lie­fe­ran­ten und Ge­wer­be­trei­ben­de wer­den das gar nicht toll fin­den. Es ist des­halb davon aus­zu­ge­hen, dass bei einer der­ar­ti­gen «Lö­sung» Auto- und Last­wa­gen­ver­kehr auch an die Ober­flä­che, d.h. ins Stadt­stras­sen­netz ge­spült würde.

Die not­wen­di­gen Ram­pen für die Ein- und Aus­fahr­ten wür­den das Stadt­bild ähn­lich zer­stö­ren, wie dies bei den in­ner­städ­ti­schen An­schlüs­sen des Aus­füh­rungs­pro­jekts der Fall wäre. Zudem müss­ten die un­ter­ir­di­schen Er­schlies­sungs­stras­sen samt Krei­sel und Park­haus im in­sta­bi­len Un­ter­grund unter der Stadt er­stellt und ver­an­kert werden.

Der Ju­ra­tun­nel bleibt daher ein Phan­tom. Er ist kein rea­lis­ti­scher An­satz. Die Teil­neh­me­rIn­nen am Dia­log­pro­zess täten gut daran, keine Zeit mehr dar­auf zu ver­schwen­den. Denn nach wie vor gilt: Erst wenn das Aus­füh­rungs­pro­jekt de­fi­ni­tiv vom Tisch ist, wer­den wei­te­re Schrit­te und Ent­wick­lun­gen über­haupt mög­lich. Die Emp­feh­lung Num­mer 1, die Mo­de­ra­tor Wer­der im De­zem­ber der Be­hör­den­de­le­ga­ti­on kom­mu­ni­zie­ren soll, lau­tet des­halb: De­fi­ni­ti­ver Rück­zug des Ausführungsprojekts.

Wer die­ser Emp­feh­lung beim ak­tu­el­len Stand der Dis­kus­si­on nicht zu­stimmt, spielt ein Dop­pel­spiel: Die von allen Sei­ten be­für­wor­te­te Um­set­zung der so­ge­nann­ten kurz- und mit­tel­fris­ti­gen Mass­nah­men setzt näm­lich die Auf­he­bung des Aus­füh­rungs­pro­jekts voraus.

Alles an­de­re ist Au­gen­wi­sche­rei. Statt wei­ter über nicht rea­li­sier­ba­re Be­ton­va­ri­an­ten zu pa­la­vern, soll­te die En­er­gie und Krea­ti­vi­tät aller Be­tei­lig­ten in das gros­se Po­ten­zi­al der Mass­nah­men flies­sen, die in den letz­ten Mo­na­ten und Wo­chen in der Kern- und Dia­log­grup­pe ent­wi­ckelt wor­den sind. Wer­den diese ernst­haft und rich­tig um­ge­setzt, dürf­te sich jeg­li­che Dis­kus­si­on über zu­sätz­li­che Au­to­bah­nen in der Re­gi­on von selbst erübrigen.